Wenn sich Männer schwanger fühlen – Das Couvade-Syndrom

Hast du schon einmal von Männern gehört, die während der Schwangerschaft ihrer Partnerin ebenfalls an Gewicht zunehmen? Oder jenen Partnern, denen regelrecht schlecht wird, wenn die werdende Mutter im ersten Trimester unter Übelkeit leidet? In der Wissenschaft gibt es für dieses Verhalten sogar einen Ausdruck: Couvade-Syndrom. Darunter versteht man, grob ausgedrückt, das physische und psychische Erleben des werdenden Papas.

Symptome der Co-Schwangerschaft

Das offensichtlichste Symptom der „Anteilnahme“ an einer Schwangerschaft ist die Gewichtszunahme beim Mann. Untersuchungen im Rahmen von Geburtsvorbereitungskursen haben beispielsweise gezeigt, dass schwangere Frauen bis zur Geburt etwa 10-15 Kilogramm zunehmen. Ebenfalls mehr Gewicht auf die Waage brachten die werdenden Väter, nämlich bis zu 4 Kilogramm mehr als zu Beginn des Kurses. Es konnten jedoch auch noch weitere Symptome beobachtet werden, die im Grunde typisch für eine Schwangerschaft sind: Übelkeit, Sodbrennen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Stimmungsschwankungen, Probleme mit der Verdauung und Rückenschmerzen.

Wie viele Männer vom Couvade-Syndrom betroffen sind, lässt sich schwer erheben, da das Syndrom weder medizinisch anerkannt wird, noch pathologisch eindeutig ist. Man geht davon aus, dass schätzungsweise 25 -50% aller werdenden Väter betroffen sind - die Studien dazu variieren jedoch stark. Viele Männer bringen die Anzeichen jedoch nicht mit der Schwangerschaft der Partnerin in Verbindung.

Der schwangere Mann

Rituale werdender Väter

Kaum vorstellbar ist er, der schwangere Mann. Aber vereinzelte Studien haben gezeigt, dass Männer gleichzeitig mit ihrer Partnerin „schwanger sein“ können. Sie klagen über typisch körperliche Schwangerschaftsbeschwerden und weisen auch emotional gesehen ein verändertes Verhaltensmuster auf. Zumindest diejenigen, die vom Couvade- Syndrom betroffen sind. Die Bezeichnung geht übrigens auf den Anthropologen E.B. Taylor zurück, der unter diesem Begriff verschiedenste Rituale werdender Väter zusammenfasste.

Es gibt Aufzeichnungen darüber, dass in manchen Kulturen sogenannte Couvade-Rituale praktiziert wurden. Sie halfen dem Mann dabei, sich auf die Ankunft des Kindes vorzubereiten und sich gewissermaßen in die schwangere Partnerin hineinzuversetzen. Werdende Väter versuchten beispielsweise, den Wehenschmerz nachzuempfinden, sie trugen die Kleider der Frau, fügten sich Schnittverletzungen zu oder verbrachten am Ende der Schwangerschaft sehr viel Zeit im Bett oder am Sofa.

Anstatt solcher Rituale könnte der werdende Vater beispielsweise jeden Abend den Schwangerschaftsbauch mit einem Öl massieren oder dem ungeborenen Baby etwas erzählen. Kinder nehmen im Mutterleib bereits Laute und Stimmen wahr. So kann bereits vor der Geburt „Kontakt“ aufgenommen werden.

Vorbereitung auf das neue Leben

Hintergrund dieser Ritualisierung könnte folgender sein: Männer suchen sich auf diese Weise einen Weg, um sich sowohl physisch als auch psychisch auf das neue Leben vorzubereiten. Schließlich wird aus einem Paar eine Familie, viele Männer fühlen sich dadurch automatisch in die zweite Reihe versetzt. Außerdem haben Männer einen entscheidenden Nachteil: Sie können zwar an der Schwangerschaft Anteil nehmen, erleben den Reifungsprozess zum Vater jedoch nicht unmittelbar körperlich, da sie das Kind ja nicht austragen. Es fehlt ihnen gewissermaßen der direkte Kontakt zum ungeborenen Baby, sie sind stets auf die Schilderungen ihrer Frau und Beobachtungen angewiesen. Es ist jedoch nicht unüblich, dass sich Männer mit ihren schwangeren Frauen solidarisch zeigen möchten, daraus kann sich unbewusst ein Couvade-Syndrom entwickeln.

Experten-Tipp von Dieter Breitwieser-Ebster, Verein Papainfo: Viel besser können sich Männer respektive der nicht schwangere Elternteil auf die Geburt und den neuen Lebensabschnitt als Papa vorbereiten, indem sie beispielsweise zu den ärztlichen Untersuchungen mitgehen, sich informieren, was sich gerade beim Baby tut oder dass gemeinsam überlegt wird, welche Aufgaben nach der Geburt von ihm übernommen werden.

Forscher auf Ursachensuche

Wir haben es bereits erwähnt, die Co-Schwangerschaft ist streng genommen kein medizinisches Krankheitsbild, sie ist weder auf körperlicher Ebene noch auf emotionaler Ebene ausreichend erforscht. Aus vereinzelten Studien weiß man jedoch, dass Männer die einschlägige Symptomatik relativ häufig zeigen. Ein Arzt wird selten aufgesucht, die Diagnose „Couvade-Syndrom“ ist noch seltener. Landläufig geht man davon aus, dass sich der Mann seiner schwangeren Partnerin einfach anpasst.

Er verbringt mehr Zeit am Sofa oder damit, zu schlafen, isst mehr und geht vielleicht seltener zum Sport, da er für seine Partnerin da sein möchte. Die Umstellung im Lebensstil kann natürlich eine Gewichtszunahme mit sich bringen, veränderte Essensgewohnheiten können zu Verdauungsproblemen führen. Das betrifft Schwangere ebenso wie nicht schwangere Personen.

Also eigentlich bloß Zivilisationsprobleme? Es kann jedenfalls hilfreich sein, über Veränderungen gemeinsam zu reden. Andererseits gibt es auch eine Vielzahl an werdenden Vätern, die sich während der Schwangerschaft und auch danach in die (Erwerbs-)Arbeit stürzen und durch Abwesenheit glänzen. Um beiden vorzubeugen, ist es wichtig, den Vater von Beginn an einzubinden.

Liegt es an den Hormonen?

So wirkt sich der Beschützerinstinkt aus

Es ist eine spannende Frage, wie das Couvade-Syndrom entsteht und warum es bei manchen Männern auftritt und bei anderen nicht.Dazu gibt es bislang jedoch nur wenige wissenschaftliche Studien. Ein Forscher*innen Team der Hashemite Universität Zarqa, Jordanien hat 2019 eine Studie mit dem Titel „Das Couvade-Syndrom bei werdenden Vätern in Jordanien“ veröffentlicht. Man hat festgestellt, dass 59,1% der befragten Väter Symptome eines Couvade-Syndroms aufzeigen. Im Vergleich mit anderen Studien ist das ein relativ hoher Anteil an betroffenen Männern. Die Studienautor*innen führen das darauf zurück, dass jordanische Männer früh nach der Hochzeit einen Kinderwunsch entwickeln und sich dem Familienleben ab der Schwangerschaft der Partnerin sehr verbunden fühlen.

Eine weitere Studie mit einem kleineren Sample von 14 Männern, die gemeinsam mit ihrer Partnerin ein Kind erwarteten, wurde an der St. George’s Universität in London durchgeführt.  Die Forscher*innen fanden heraus, dass Männer sehr vielfältig auf die Schwangerschaft ihrer Partnerin reagieren. Es konnten sowohl psychische (z.B. Ängste, Schlaflosigkeit, Nervosität) als auch physische Symptome (Übelkeit, Zahnschmerzen, Appetitverlust, Gewichtszunahme) festgestellt werden, die eine Ähnlichkeit mit dem Couvade-Syndrom aufweisen. Ursachen auf körperlicher Ebene konnten dafür nicht gefunden werden.  Die Forscher*innen kommen zum Schluss, dass es sich beim Couvade-Syndrom streng genommen um keine medizinische Diagnose, sondern vielmehr um ein Phänomen handelt, das bei werdenden Vätern beobachtet wird und sich von Mann zu Mann unterschiedlich auswirkt. Sie fordern breiter angelegte Studien, die sich der Thematik qualitativ und quantitativ nähern.

Einig scheint sich die Wissenschaft darin zu sein, dass es für das Couvade-Syndrom mehrere unterschiedliche Erklärungsmodelle bzw. Faktoren gibt, die auf Männer einwirken. Zu den häufigsten Ansätzen zählen psychoanalytische und psychosoziale Herangehensweisen sowie Theorien, die sich mit Vaterschaft und dem Übergang zur Vaterschaft auseinandersetzen. . Veränderungen im Hormonhaushalt

Mit einer Schwangerschaft verändert sich nicht nur der Hormonhaushalt der Frau, sondern auch der des werdenden Vaters. Die hormonelle Umstellung ist jedoch bei weitem nicht so intensiv. Männer, die ein Kind erwarten, produzieren größere Mengen an Prolaktin, Cortisol und Östradiol. Letzteres ist ein typisch weibliches Hormon. Der Testosteron-Spiegel sinkt hingegen, wenn sich Männer auf die Ankunft eines Kindes vorbereiten. Was zur Folge haben kann, dass durch die verminderte Testosteron-Menge die Fürsorglichkeit gesteigert wird. Begründen lässt sich dies zudem mit einem Blick auf die Evolutionsbiologie. Erwartet ein Mann ein Kind, entwickelt auch der Organismus einen gewissen Beschützerinstinkt. Werdende Väter möchten ihre Frau als auch ihr ungeborenes Baby absichern, sie behüten und gleichzeitig möchten sie der werdenden Mutter empathisch begegnen.

Der "Gebärneid"

Britische Forscher machen die männliche Psyche für Symptome einer Co-Schwangerschaft verantwortlich. Erwartet die Partnerin ein Kind, beginnt für den Vater ebenfalls eine Phase der emotionalen Umstellung. Die Forscher gehen davon aus, dass bei Männern ein „Gebärneid“ entsteht. Sie fühlen sich vernachlässigt, da die schwangere Frau nun mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt. Zudem wird dem Mann in dieser Situation bewusst, dass er nicht in der Lage ist, ein Kind auszutragen – es ist eine Erfahrung, die naturgemäß nur Frauen zuteilwird.

Die Solidarität mit der schwangeren Frau kann aber auch in übermäßiger Empathie begründet liegen. Fallstudien haben gezeigt, dass Männer, die ungewöhnlich intensiv an der Schwangerschaft der Partnerin beteiligt sind, eher dazu neigen, das Couvade-Syndrom zu entwickeln.

Der werdende Papa

Nicht ohne Umstellungsphase

Wenn ihr ein Kind erwartet, ist das nicht nur für dich, sondern auch für deinen Partner eine sehr aufregende Zeit. Schließlich wird aus einer Paar-Konstellation eine frisch gebackene Familie, in gewisser Art und Weise verändert jedes Kind die Harmonie zwischen Mann und Frau. Das bedeutet natürlich nicht, dass daraus nicht wieder eine schöne neue Konstellation entstehen kann, das geht jedoch nicht ohne Umstellungsphase. In den ersten Monaten sieht man dir die Schwangerschaft zwar noch nicht an, dein Partner bekommt mögliche Schwangerschaftsbeschwerden aber hautnah mit. Das ist für ihn vorerst die einzige Veränderung.

Der Übergang zur Vaterschaft

Mit der Zeit wächst dein Bauch, ab der 20. Woche sind schon erste zarte Bewegungen des Kindes zu spüren. Nun wird alles schon ein wenig realer, dennoch erscheint die Geburt weit weg. Spätestens nach der Entbindung ist das Baby auch für deinen Partner ein „reales“ Wesen, er wird es halten, tragen, umsorgen und wärmen. Genauso wie du in die Mutterrolle wächst, entwickelt auch er seine Rolle als Vater und dafür sollte er sich die Zeit nehmen, die er braucht. Übrigens:  Nicht nur Frauen sind von erhöhten psychischen Belastungen nach der Geburt betroffen - auch Väter erleben dies im ersten Lebensjahr des Babys. Etwa 10 % der Väter erkranken an postnataler Depression, 15 % leiden an einer Suchterkrankung, 16 % an Angststörung.

Jeder Elternteil wird das Kind anders halten, es anders wickeln, zu beruhigen versuchen. Das ist völlig normal, da wir unterschiedliche Personen sind. Väter können ab der Geburt alle Elternaufgaben (bis auf das Stillen mit der Brust) übernehmen und werden es nur lernen, wenn sie die Gelegenheit bekommen und wahrnehmen. Auch die Mütter müssen erst mit der neuen Situation zurechtkommen und den Alltag mit Baby üben.

Tipp: Gestehe als Mama dem Papa zu, dass er Sachen im Umgang mit dem Baby anders macht. Für Mamas wie Papas ist die erste Zeit nach der Geburt eine Zeit des Umbruchs, die auch mit Überforderung oder gar psychischen Belastungen einhergehen kann. Holt euch Unterstützung, wenn wir wo ansteht. Ihr müsst das alles nicht alleine schaffen. Vereine wie die Frühen Hilfen unterstützen euch gegebenenfalls auch zu Hause.

Manche Männer finden sich rasch ein, andere wiederum sehen den Neuankömmling als Konkurrenz und brauchen ein wenig länger. In jedem Fall ist der Übergang zur Vaterschaft eine potenziell kritische Phase, die man jedoch als Paar gemeinsam gut bewältigen kann. Ermutige den werdenden Vater, alles zu machen, was für das Baby, den Haushalt etc. wichtig ist und reden gemeinsam über Veränderungen, eure Gefühle, Ängste und Freuden. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, um euch von einer neuen Seite kennenzulernen.

Expert*innen-Überprüfung durch

Mag.(FH) Dieter Breitwieser-Ebster

Dieter ist verheiratet und Vater von zwei Kindern sowie Sozialarbeiter und Kleinkindpädagoge. Seit 2016 leitet er Kurse für werdende Väter und Eltern. Lebt und arbeitet in Wien. Mehr auf papainfo.at.

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